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Prof. Dr. Rainer Lindner, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, über Russlands Auftritt auf der HANNOVER MESSE

Der Ost-Ausschuss hat die Partnerland-Beteiligung Russlands an der Hannover Messe begrüßt und mit eigenen Veranstaltungen begleitet. Wie fällt nach der Messe Ihre Bewertung der Hannover Messe als Drehscheibe für den Dialog mit Russland aus?
Die Russische Föderation konnte in Hannover erfolgreich zeigen, dass Sie eine innovative Industrienation ist. Aus Russland präsentierten sich in diesem Jahr über 150 Unternehmen auf der HANNOVER MESSE. Das ist die größte Präsentation der russischen Wirtschaft, die es im westlichen Ausland bislang gegeben hat. Einige Unternehmen stellten zum ersten Mal außerhalb des Gebiets der GUS Staaten aus. In Kombination mit der hochrangigen politischen Begleitung auf beiden Seiten zeigt dies, dass die Hannover Messe als wichtige Plattform für den wirtschaftlichen Dialog erfolgreich war.
Dies wird auch durch den Erfolg des vom Ost-Ausschuss veranstalteten Deutsch-Russischen Wirtschaftsgipfels mit bis zu 400 hochrangigen Teilnehmern beider Länder und Vertragsunterzeichnungen in bedeutendem Umfang deutlich.

Was hat Sie in der russischen Präsentation am meisten überrascht und beeindruckt?
Die russische Industrie ist traditionell stark auf den Rohstoffsektor ausgerichtet. Die Plattform Hannover Messe wurde gezielt genutzt, um die russische Stärke auch in anderen Bereichen zu präsentieren, die von entscheidender Bedeutung sind: Energieeffizienz, Forschung, Ökologie und neuartige Werkstoffe. Dadurch konnte die russische Industrie zeigen, dass sie sich den globalen Herausforderungen in allen Bereichen stellt und an Lösungen für die Zukunft arbeitet. Darüber hinaus war es sehr erfreulich, dass auch die russischen Regionen mit ihren aufstrebenden Großstädten sehr stark präsent waren.

Der russisch-deutsche Wirtschaftsgipfel hat zentrale Fragen der Wirtschaftsentwicklung in beiden Ländern angesprochen. Wird die Messe zu neuen Kooperationen führen?
Die Messe hat die wichtigsten Akteure aus beiden Ländern zusammengebracht. Im Rahmen des Deutsch-Russischen Wirtschaftsgipfels wurden immerhin vier deutsch-russische Verträge unterzeichnet. Beteiligt waren unter anderem die Siemens AG, die Nordic Yards Wismar GmbH und die Bombardier Transportation GmbH.
Im Rahmen der Messe Metropolitan Solutions wurden deutschen Unternehmen von russischer Seite zahlreiche Investitionsmöglichkeiten und Standorte präsentiert: Vertreter lokaler Gebietsadministrationen stellten persönlich neue Projekte und Investitionsmöglichkeiten ihrer Region vor, zum Beispiel das Gebiet Kaluga und die Region St. Petersburg.

Insbesondere im Bereich der Stadtentwicklung verspricht sich Deutschlands Industrie eine erweiterte Nachfrage nach Lösungen und Kooperationen aus Deutschland. Hat die entsprechende Konferenz im Rahmen der Metropolitan Solutions hier neue Anhaltspunkte und Kontakte ergeben?
Bei dem durch den Ost-Ausschuss mitveranstalteten „Russland Special“ auf der Metropolitan Solutions ging es vor allem um Projekte zur Verbesserung der urbanen Intrastruktur. Hier konnten Kontakte deutsche Unternehmen Kontakte mit Vertretern lokaler Verwaltungen knüpfen. Die Moskauer Gebietsadministration stellte mit dem geplanten „Russia Theme Park“ ein sehr großes Projekt vor und lud deutsche Investoren ein, sich an der Umsetzung zu beteiligen. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Fußball WM 2018, die die russischen Regionen vor große Modernisierungsaufgaben im Infrastrukturbereich stellt. Im Rahmen der Konferenz konnten sich Unternehmensvertreter direkt mit den Verantwortlichen der FIFA und Vertretern der russischen Regionen austauschen und so Investitionsprojekte anbahnen.

Mit einer neuen Kontaktstelle unterstützt der Ost-Ausschuss mittelständische Unternehmen beim Marktzugang in Russland. Gibt es dort eigentlich auch eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu neuem, mittelständischen Unternehmertum – und damit neue Perspektiven für Partnerschaften für die Industrie hier?
Tatsächlich ist die russische Wirtschaft in den Schlüsselsektoren immer noch von großen, staatsnahen Unternehmen geprägt. Gleichzeitig hat die russische Politik die Bedeutung des Mittelstandes und die Notwendigkeit einer Reform der russischen Wirtschaft erkannt. Die Ankündigung von Präsident Wladimir Putin, Russland im Ranking des Doing Business Reports unter die 20 besten Länder zu führen und in den nächsten Jahren 25 Millionen neue Arbeitsplätze, vorzugsweise im Hightech-Sektor zu schaffen, lässt jetzt auf eine konsequent mittelstandsfreundliche Wirtschaftspolitik hoffen. In den letzten Jahren wurden bereits verschiedene Maßnahmen zur Förderung des Mittelstands in Russland verabschiedet. Diese beinhalteten eine Senkung der Gewinnsteuer von 24 auf 20 Prozent und eine Erhöhung der absetzbaren Beträge. Zu den Haupthindernissen für ein noch stärkeres Engagement des deutschen Mittelstandes zählen derzeit fehlende Ansprechpartner und Strukturen auf russischer Seite. Hier soll die neue Kontaktstelle Mittelstand ansetzen und mit Informationen über Rahmenbedingungen und konkreten Kontakten weiterhelfen.

Auf der Messe gab es Diskussionen zur politischen Entwicklung Russlands. Wie bewerten Sie das Potenzial der vieldiskutierten russischen Zivilgesellschaft und welche Entwicklungen erwarten Sie hier?
Wir glauben, dass die russische Gesellschaft aus sich selbst heraus Kräfte entwickeln wird, die als Korrektiv in Russland auftreten können. Der Ost-Ausschuss setzt seit den 1950er Jahren auf das Prinzip „Wandel durch Handel“. Engere wirtschaftliche Kontakte leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass sich Standards und Werte weiterverbreiten. Und eine positive wirtschaftliche Entwicklung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich eine Gesellschaft insgesamt weiterentwickelt. Übrigens könnte hier auch die europäische Politik einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie Visa-Hürden beseitigt und so zu einem leichteren Austausch von Ideen beiträgt.