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code_n heißt das Konzept hinter dem Festival new.New in Stuttgart. Seit 2011 hält der IT-Unternehmer Ulrich Dietz an der Idee fest, Menschen für Innovation zu begeistern.

Ein paar Erinnerungen an die Anfänge: Es war an einem ziemlich heißen Frühsommertag im Jahr 2011. Britta Schulz, die in ihrem SIBE-Masterstudium gerade das Konzept für edubiz.de entwickelte, begleitete mich zum Gespräch mit Ulrich Dietz. Ich kannte den GFT-Gründer ja schon eine Weile. Als wir auf der CeBIT 2010 und 2011 in unserem „Flat World Forum“ Offshoring zum Thema machten, gehörte Dietz zu denen, die sich beim damals zuständigen Messevorstand Ernst Raue für uns eingesetzt hatten. Dietz war eine wichtige Stimme im Ausstellerbeirat der weltgrößten IT-Messe. Mit seiner schon sehr früh sehr international aufgestellten Firma GFT – erfolgreicher IT-Dienstleister für Banken – war auch er im Branchenverband BITKOM als Vorstand für das Internationale zuständig.

“Wir werden die CeBIT umkrempeln, sie hat es dringend nötig.”

Für 2012 war Brasilien als Partnerland der Messe vorgesehen. Da lag es für uns nahe, das Gespräch mit Dietz zu suchen, dessen GFT ja immerhin schon seit 2005 in Sao Paulo kräftig wuchs. Nun saßen wir ihm also gegenüber. “Also warten Sie, jetzt muss ich Ihnen zuerst mal was erklären“, sagte Dietz plötzlich. Er ging zum Whiteboard und malte mit einem dicken Marker einen groben Hallenplan auf das Papier. „Das ist die Halle 16 der CeBIT. Die nehmen wir, nur für junge Unternehmen. Die Halle werden wir komplett künstlerisch gestalten und eine ganze Woche im Wortsinn bespielen. Wir werden die CeBIT umkrempeln, sie hat es dringend nötig.“

Festival-Charakter solle die CeBIT ausstrahlen, unbedingt auch die Internationalität, ohne die Innovation nicht mehr vorankomme. code_n nenne sich das Projekt. Er sei jetzt gerade dabei, junge Unternehmen aus der ganzen Welt einzuladen, sich selbst und ihre innovativen Geschäftsmodelle auf der CeBIT vorzustellen: “Und zwar kostenlos!”

“Wir werden ganz sicher Partner finden”

„Und wie werden Sie das alles finanzieren?“, fragte ich – waren wir doch bei Messekalkulationen für Hannover in ziemlicher Vorsicht geübt. “Wir machen Sachen, über die Sie staunen werden. Und werden dafür ganz sicher Partner finden”. Dietz war voller Zuversicht. Wohlgemerkt, es war 2011 – manche Wirtschaftsförderer und Unternehmer hielten “Disruption” für einen schrägen Musiktrend und assoziierten mit „Ecosystems“ so etwas wie Streuobstwiesen im Gewerbegebiet. Die Zeit, dass auf wirklich jeder Messe in Deutschland große Freiflächen und Areale für regional oder sektoral relevante Start-ups nahezu kostenlos bereitstehen – die war noch weit, sehr weit weg. Die erste gelbe “Festival-CEBIT” feierte im Juni 2018 Premiere.

Und so waren wir dann doch sehr gespannt, wie sich das alles anlassen würde. Immerhin: Die Deutsche Messe als Organisatorin der CeBIT und Fujitsu machten bei der Premiere mit: 400 junge Firmen hatten sich beworben, 50 davon hatte die Jury ausgewählt. Die eigene Messehalle für code_n mutete dann wie eine überdimensional geratene Vernissage an. Wie uns ging es auch Tausenden anderer Messebesucher: So etwas wie die von Jürgen Mayer H. und Tobias Rehberger gestaltete Halle 16 hatten wir noch nie irgendwo, erst recht nicht in Hannover, gesehen. Gleich nebenan in Halle 2 präsentierten sich die IT-Giganten, als ob nichts wäre. Die IBM zelebrierte ihre legendären hierarchisch-konzentrischen Morgenbriefings. Im Business-Bereich bezogen wir wie hunderte junger Ausstellerfirmen aus Rumänien, Indien, Italien unsere grauen Systemstände.

Auch in den folgenden Jahren behielt der Auftritt von code-n auf der CeBIT etwas absolut Extraterrestrisches. Junge Mitarbeiter, die für die Messeprojekte von local global aus Süd- und Osteuropa zu uns stießen, entdeckten freilich in den Diskussionen und der Atmosphäre von code_n genau das, was sie selbst antrieb: eine neue Welt zu entdecken, neue globale Verbindungen aufzubauen. Unvergessen bei meinen längst zu den großen Unternehmen abgewanderten Mitarbeiterinnen von damals ist der orangene Pullover von Ulrich Dietz. Man trug ja noch Anzug auf IT-Messen. Auch von den unendlich langen Tischreihen des ersten Captain‘s Dinner und der leider um Mitternacht endenden brasilianischen Tanzmusik schwärmen sie heute noch.

 

Auch nicht vergessen: Der öffentliche und demokratische Ritterschlag, den Dietz bei der feierlichen CeBIT-Eröffnung 2015 ereilte – einem Event, bei dem neben den gewichtigen Repräsentanten des digitalen Partnerlands China auch die Granden der deutschen Industrie ganz vorne platziert waren. Dietz, der irgendwo bescheiden am Rand der ersten Reihe saß, war sichtlich überrascht, als ihn die Bundeskanzlerin in ihrer Rede persönlich ansprach und code_ n als richtungsweisende Initiative für das ganze Land bezeichnete.

“Gespräche mit 18 Quer- und Vordenkern”

Für mich war auch die hervorragend gestaltete Buchpublikation, die Dietz und sein Team zu code_n auflegten, eine Inspiration und ein Objekt der neidvollen Bewunderung. “The new New” war weit mehr als eine reine Marketing-Begleitung. Dietz hatte sich immerhin ins Flugzeug gesetzt und sich mit 18 „Quer- und Vordenkern“ auf der halben Welt unterhalten, wie Neues Wirklichkeit wird. Natürlich hat das schöne Buch schon längst jemand aus unserer Team-Bibliothek ausgeliehen, leider wohl für immer. Zum Glück haben wir aber noch wenigstens ein legendär-visionäres Gespräch digital bewahrt: Dietz hat es mit Peter Weibel geführt, dem Medientheoretiker und inspirierenden Direktor des ZKM in Karlsruhe. Es ging darin zwar im Wortsinn um Gott und die Welt. Wer aber wissen will, was Ulrich Dietz und Peter Weibel zu kongenialen Streitern und Dickbrettbohrern für Innovation macht, der sollte sich auch heute noch diesen “long read” antun, den wir damals nur in Auszügen in unserem englischsprachigen Magazin “Business Baden-Württemberg” abdrucken konnten.

“Wir sind keine Eventagentur”

Es war dann aber auch für uns eine Überraschung, als Dietz die vielkommentierte Entscheidung bekannt gab, dass code_n die CeBIT verlassen werde. Nicht mehr so überraschend war die neue Location: Eben – sozusagen bei Weibel – im ZKM in Karlsruhe, diesem Ort der vielen medialen und kulturellen Impulse für das ganze Bundesland. Der IT-Standort Karlsruhe mit seiner europäischen Wettbewerbsfähigkeit und Dimension schien der geeignete Platz für Dietz und das junge Team um Moritz Gräter, das in der Zwischenzeit die Entwicklung von code_n weiter trieb.

Die nächste Stufe sollte aber nicht ein noch ausgefeilteres Veranstaltungskonzept sein. Dietz damals energisch: „Wir sind keine Eventagentur.“ Ziel des Festivals war und ist der Aufbau eines Netzwerks, „in dem man sich gegenseitig unterstützt, gemeinsam Kräfte mobilisiert.“ Das war jetzt eine verständliche Übersetzung von „Ecosystem“. code_n und das Karlsruher Festival waren ein Aufruf an Unternehmen und Bevölkerung. „Wir sprechen gezielt die mittelständische Industrie in Baden-Württemberg an, die Plattform zu nutzen, um den digitalen Wandel als Chance zu verstehen.“

Wohl kein Zufall war, Ulrich Dietz und Eberhard Veit, den früheren FESTO-Chef und Impulsgeber für die industrielle Digitalisierung zahlreicher Mittelständler, zufällig wieder zu treffen, als sie gemeinsam beim Mittagessen saßen. Das war – schon vor dem Karlsruher Festivals – in der modernen Kantine des neuen Firmengebäudes, das die GFT und code-n in der Zwischenzeit in Stuttgart-Fasanenhof bezogen hatten. Dass die Industrienation Deutschland und insbesondere der weltweit aktive Mittelstand zur Zukunftssicherung dringend digitale Innovation benötigten, diese Auffassung vertraten die beiden Unternehmer dann gemeinsam auch auf unserem Unternehmerforum auf der GlobalConnect 2016 mit Nachdruck.

Bei beiden blieb das nicht nur ein Appell an andere, endlich etwas tun. Veit wirbelt heute in Aufsichtsräten Mittelständler durcheinander, Dietz gab seine Aufgabe als CEO der GFT ab. Er hat mehr Zeit für code_n. Seine Idee manifestiert sich mittlerweile in Raum und Zeit neu. code_n Spaces – das ist das ganzjährig geöffnete Lab über 2000 Quadratmeter in drei Stockwerken im GFT-Firmengebäude.

Es wird von Start-ups bevölkert, die dort wachsen können sollen – aber in den “spaces” vor allem den Kontakt zur Industrie ausbauen können. Nicht wie in jedem beliebigen Co-Working die wechselseitige Inspiration der Gründer und ihrer Teams ist die Absicht – sondern der gezielte Kontakt und Austausch mit der Industrie – den möglichen Anwendern von neuer Technologie und Partnern bei neuen Geschäftsmodellen.

Über Ecosystems, Corporates und Industry Shaker

Das, was mittlerweile ziemlich einheitlich als „corporates“ bezeichnet wird, ist also die eigentliche Zielgruppe von code_n geworden. Ulrich Dietz und sein Geschäftsführer Moritz Gräter sind dabei vorangekommen. Der Zeitgeist ist jetzt endlich auf ihrer Seite. Jetzt lassen sich „alte“ Industrie und Industriepolitik nicht mehr lumpen: Von neuen Ideen und möglichen “Einhörnern” sollen nicht nur ein hochspezialisiertes Kapitalmarktsegment und die mehr oder weniger genialen Gründer profitieren, sondern auch die alteingesessenen Unternehmen – und ihre regionalen Branchenbiotope gleich mit.

Wirtschaftspolitiker wissen heute genau , dass Investoren nicht nur günstige Industriegelände mit Verkehrsanschluss brauchen, sondern neue Köpfe und neue Ideen. Die Firmen im Bundesland haben zwar zum Teil schon 50 oder 100 erfolgreiche Jahre auf dem Buckel, sind grundsolide strukturiert, durchaus innovativ und weltweit rasant gewachsen. Sie wollen aber nicht Opfer der “Disruption” werden. Dieses Gespenst hat sich nämlich mittlerweile auch auf der Alb, im Hohenlohischen und im Schwarzwald in die Powerpoint-Folien mittelständischer Vorstände geschlichen. Bei den eigenen Initiativen für Start-ups setzt auch die Wirtschaftsministerin des Landes auf den “USP der Industrienähe.”

Die Logowand des nächsten Festivals von code_n ist dadurch beträchtlich gewachsen. Das Bundesland Baden-Württemberg zeigt sich. Die das Festival finanzierenden Marketingabteilungen traditioneller Firmen haben auch nichts mehr dagegen, als “Industry Shaker” oder “Digital Explorers” aufgelistet zu werden.

Für Überraschungen und für Neues bleibt Ulrich Dietz aber immer gut. Dass die Neuauflage des Festivals um und für code_n ein erstes Heimspiel in Stuttgart wagt – und zwar gleich in die größte Arena – das war nach dem Karlsruher Ausflug schon erstaunlich. Dietz bleibt sich und seinem Motto von 2011 jedenfalls treu. Auch wenn Enthusiasmus keine schwäbische Grundtugend ist: “Es muss es doch möglich sein, dass wir Technologie so präsentieren, dass sie viele Menschen begeistert.“ Schauen wir mal, wie die Schleyer-Halle ab Montag aussieht.

Interviews mit Ulrich Dietz:

“Ständig neue Herausforderungen gehören zum Alltag”: Die operative Führung des von ihm zu einem Global Player entwickelten IT-Dienstleisters GFT hat er aufgegeben, um sich stärker auf seine Startup-Plattform code_n konzentrieren zu können. Wir haben mit ihm im Spätsommer 2016 über die unternehmerische Navigation in einer “Welt aus den Fugen” gesprochen (2016).

Zur ersten code_n : “Lust auf Neues”: Weil Brasilien kommt und er mit Code_n eine ganze CeBIT-Halle umkrempelt, ist es keine gewöhnliche CeBIT für Ulrich Dietz, den Gründer und CEO der GFT Technologies, der im Präsidium des Branchenverbands BITKOM für das Internationale verantwortlich ist und zudem im Ausstellerbeirat der CeBIT sitzt. Im Gespräch über Brasilien und seine Initiative Code_n. (2012)